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Wenn der Hirnstamm mit Dopamin geflutet wird.
Ein Fahrbericht mit dem neuem Porsche Cayman.

  • Mal ganz stark vereinfacht: Bestimmte Reize werden vom Zentralnervensystem als angenehm und als Belohnung empfunden. Neurophysiologen sprechen daher vom Rewardmechanismus, der abhängig ist von der Dopaminfreisetzung an bestimmten Synapsen im Mittelhirn. Das Gefühl von Glück und Zufriedenheit stellt sich ein. Für uns und viele Jünger des „Soulful driving“ sind Kurven das einzig wahre Stimulans, das in Tateinheit mit einem Sportwagen am Kurveneingang die Vorfreude schürt, am Scheitelpunkt den Knopf für Dopamin und seine Kumpels Adrenalin und Serotonin drückt und am Kurvenausgang den „rush“ produziert, der uns schon begierig auf die nächste Kurve macht.

  • Am frühen Morgen in Portugal mit einem Caymanschlüssel in der linken Hand auf diesen flachen Sportler zuzugehen, schüttet schon so viel Dopamin aus, dass sich die ersten Anzeichen einer leichten Erregung in Form von erhöhtem Puls und ein wenig feuchten Händen zeigen. Fällt der Blick auf die neuen, großen Lufteinlässe am Bug, die wie Nüstern an der Straße schnüffeln und den Geruch von sich langsam erwärmendem Asphalt in sich aufsaugen, wird die Vorfreude größer als an Heiligabend und der Rewardmechanismus erlebt die ersten Frühlingsgefühle. Aber wessen Kind ist dieser Cayman? Der neue Cayman ist sehr viel mehr als ein Facelift des alten Cayman. Er ist breiter, länger, neu proportioniert. Seine schon immer lecker geschnittenen Hüften sind noch etwas muskulöser geworden. Und die 20 Zoll Felgen sind hier an ihren 4 richtigen Plätzen.

  • Er ist aber vor allem eine Reminiszenz an Autos aus vergangenen Zeiten. An Autos, die tief in unserer gemeinsamen DNA als die Kurvenräuber verankert sind. An den legendären 550 Spyder, den ersten Porsche mit Mittelmotor. Ein Auto, so klein und leicht, dass er im Training und Qualifying vor einem Rennen von der Konkurrenz oft belächelt wurde. Bis die Piloten des kleinen Sportwagens bei der Siegerfeier auch gelächelt haben – dann meist ein wenig von oben herab. Dann steht er in direkter Abstammung zum Porsche 904. Für viele der schönste aller Sportwagen, direkt aus der Feder von Butzi Porsche – der Kurvengott hab’ ihn seelig! Für alle jedoch der Urahn aller Mittelmotorsportler, mit einer Kunststoffkarosserie so leicht und so dünn, dass im unlackierten Zustand das Licht hindurch scheint wie durch Papier. Und schon im ersten Jahr Doppelsieger der Targa Florio, einer 70 Kilometer langen Rennstrecke in den Bergen Siziliens. Ein Mittelmotorkonzept gepaart mit fehlenden Kilogramm ist eine unschlagbare Verbindung. Damals wie heute. Diese 70 km mit ihren legendären Kurven und Ausblicken sind übrigens ein Must-Drive für alle Freunde der gebogenen Strasse.

  • Und der neue Cayman erinnert uns natürlich an unseren ersten Kett-Car: Vier Räder, ein paar Rohre und den Podex nur um Haaresbreite vom Asphalt entfernt. Aber eine Strassenlage nahe an einem Pfund Butter. Und vor allem schnell in den Kurven. Wenn Mutter weit entfernt, der Mut aber ganz nahe war. Ich lasse mich in den Sitz fallen. Interessant! Ich sitze nicht in einem Auto, das Auto umschließt mich wie eine Venusfliegenfalle ihre Beute. Wir sind eins. Nach 1,46 Sekunden. Ich muss lächeln. Das Gefühl hat man ja nicht so oft. Es fühlt sich ein wenig an wie in einem Kanu oder einer sehr hohen Badewanne, wohlig, fest umschlossen, sicher, zuhause. Die Mittelkonsole trägt ihr Scherflein dazu bei, sie steigt steiler an, der Weg der rechten Hand vom Lenkrad zum Schaltknüppel ist dadurch kurz und knapp und schnell. Hier kann man arbeiten. Der Blick nach vorne, nun ja, um nicht geil zu sagen, sagen wir mal erotisch. Die beiden Kotflügel geben die Richtung vor, Rennwagenfeeling stellt sich ein. Ideal um Kurven exakt anzuvisieren.

  • Eine weitere kleine Welle Dopamin umströmt mein zentrales Nervensystem als der Motor anspringt. Kurbelwelle mit kleinen Höckern, denkt mein Großhirn. Dreht schnell hoch, denkt mein Kleinhirn. Geile Scheiße, denken meine Ohren. Ich mach noch mal, sagt mein Gasfuß. Meine inneren Organe singen Halleluja und das Dopamin sprudelt wie aus einer Quelle in den Alpen bei der Schneeschmelze im Frühling. Klack, Gas, rollen, klack, Gas, runter vom Parkplatz, klack, die erste Kurve, die zweite Kurve, Ortsausgang, die dritte Kurve, Klack, süchtig. Crack kann nicht schneller funktionieren. So viele Autos probiert, so viele Kurven schon gefahren, so seidig, so anders, so kraftvoll und vor allem so elegant. Dopamin als große Welle jetzt, große Zufriedenheit, großes Glück.

  • Das Anbremsen einer Kurve ist wie einatmen, wie konzentrieren, wie versammeln, dann Luft anhalten, am Scheitel, wenn der Druck auf das Gaspedal zu- und der Lenkradeinschlag abnimmt, langsam ausatmen, dann gehen die Mundwinkel ganz automatisch nach oben. Der Rewardmechanismus signalisiert höchste Zufriedenheit. Spätestens jetzt ist die Rückleuchten-Spoiler-Symbiose vergessen, denn ansonsten erinnert die Figur des neuen Cayman ja auch eher an einen Schwimmer, austrainiert, muskulös, kein Gramm Fett. Und von vorne und der Seite gibt es nichts auszusetzen. Aber wie dieses Auto Kurven filettiert! Die Gewichtsverteilung macht’s! Sicher auch die Quersperre an der Hinterachse, die Dämpfer, die jedes Rad einzeln regeln, je nach Fahrweise, das blitzartige Ansprechverhalten des Motors auf kleinste Gaspedalimpulse, der freie Blick nach vorne, das kaum merkliche Untersteuern im Kurveneingang, die Bremse, die das Auto absolut im Griff hat, das Gefühl den Cayman auf halbe Zentimeter genau dirigieren zu können, das hat Suchtpotential. Und spätestens jetzt wird klar, was die schwäbischen Ingenieure da vorhaben: Kaum Hochdeutsch sprechen können, aber die Feinheiten der menschlichen Hormonherstellung und –verarbeitung gnadenlos ausnützen: Je höher die Dopamindosis über einen gewissen Zeitraum, desto mehr Dopamin braucht man, um dasselbe Glücksgefühl wieder zu erreichen. Sprich: Wer einmal genügend Kurven mit einem Cayman durchfreut hat, der braucht diese Dosis. Immer wieder. Immer schneller. Immer öfter.

    Und dann waren wir noch auf der Rennstrecke mit dem Meister der Kurve »W.R«. Aber die Eindrücke können wir nicht beschreiben. Das wäre sicher nicht ganz jugendfrei.

  • Auf ein Wort zum Thema Sound: Motorsound & Abgasanlage: WOW. Und Musik? Gegen das, was die Firma Burmester als Soundsystem zum neuen Cayman beigesteuert hat, ist das legendäre Studio 54 eine kleine Dorfdisco. Und so kann es durchaus Sinn machen, den Cayman im Wohnzimmer zu parken. Bei 12 einzeln ansteuerbaren Lautsprechern und einer Gesamtleistung von 800 Watt! Falls das architektonisch schwierig sein sollte, kann man als Musikliebhaber natürlich auch in die Garage umziehen.

  • Will man alles knapp zusammenfassen, dann fällt einem das Bild eines ganz fein ausbalancierten Sportbogens ein, leicht, präzise, kraftvoll und sehr sehr auf den Punkt. Mit dem neuen Cayman kann man sicher auch wunderbar ins Büro fahren oder auf der Münchner Ostumgehung im Stau stehen, der Innenraum ist ganz wunderbar gestaltet und man kann sich hier sicher sehr gut und sehr lange wohlfühlen, aber das angestammte Jagdrevier dieses Reptils sind Kurven – enge, weite, überhöhte, 45 oder 60°, bergauf, bergab, hängende und spitze Kurven. Und Kehren. Und dort macht der Cayman abhängig. Beziehungsweise das Dopamin macht uns abhängig.

    Nun denn, so sei es: We are cay´s junkies.


    Text: Matthias Wetzel // Fotos: Stefan Bogner // © Curves